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Channel: Sternstunden Archive - Sandmanns Welt
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Wassermänner im Regen

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Schrauben im Winter, draußen. Geil.

Knack. Knirsch. Schab. Die Knochen eines norddeutschen Mannes in seiner Lebensmitte machen komische Geräusche, wenn der dazugehörige Körper einen Teil des Tages vornübergebeugt in einem Motorraum verbracht hat. Dieser Motorraum ist geräumiger als so mancher Ganzkörperscanner am Flughafen und hey – man entdeckt darin ähnlich Absurdes, was da nicht sein sollte. Zwei Männer hatten den Plan, nach nur semibefriedigender Hubwinkelaktion die lärmende und inkontinente Wasserpumpe an meiner alten S-Klasse zu tauschen. Kennt ihr das Kinderlied “Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto Karl-Otto” ♫ …? Wo eine Aktion immer wieder die nächste folgend voraussetzt? 😀 Äh… ja. Die Wege zum Erfolg sind lang und fettig. Lasset sie uns beschreiten.

Legen wir los. “Ein Loch ist in der Pumpe, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Handlungsbedarf. Dringend.

Wasserpumpen, auch Kühlmittelpumpen genannt, können ja genaugenommen keine Löcher kriegen. Sie drehen sich ziemlich schnell, meistens von einem Riemen angetrieben. Dabei schaufeln sie heißes Kühlwasser aus dem Motor raus durch den Kühler und zurück. Immer im Kreis. Irgendwann sind ihre Lager verschlissen, und die bunte Brühe läuft mehr oder weniger unangekündigt unten raus. Das kann schleichend passieren, das kann (wie bei meinem XM, erinnert ihr euch?) schnell und vollständig sein. Bei meiner Baureihe 126 kleckert es schon länger, oxidiert und muchelt. 10 Jahre Stillstand in einer Garage haben ihre Spuren hinterlassen. Bei Mercedes wurde obendrein noch ein Thermostatdeckel aus Kunststoff verbaut, der mit zunehmendem Alter reißt. Also ist doch ein Loch im Eimer, lieber Helmut, lieber Helmut. Das kenne ich noch von meinem Glupsch-Scorpio, da war gleich die ganze Ansaugbrücke aus Plastik und musste deshalb getauscht werden. Hier ist’s nur der Deckel, und den gibt es aus Metall nachzukaufen 🙂 Ach und überhaupt. Nachkaufen.

“Dann brauchst du erstmal Teile, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Ersatzteile bekommt man für diesen von 1979 bis 1991 gebauten Daimler denkbar unproblematisch. Wenn man weiß, was man braucht. Weil ich in den letzten Wochen eine Menge über DAPARTO gesucht und bestellt habe mache ich hier mal [Werbung] für die Jungs aus Berlin. DAPARTO ist sowas wie Check24 für Autoersatzteile. Die verkaufen also selbst nichts, ich kann dort aber nach Bezeichnungen, Artikelnummern oder Baugruppen von Autoersatzteilen suchen. Und dann werden mir von diversen Händlern die Ergebnisse mit Preisen und Versandkosten aufgelistet, und die unterscheiden sich für eigentlich identische Teile doch erheblich.

Shopping für Männer

Für meine antike S-Klasse gibt es für die Wasserpumpe 25 verschiedene Angebote, klickt mal hier da seht ihr beispielhaft die Liste. Ich kann nach Marken filtern und hab mich bei der Pumpe, dem Metalldeckel und dem Thermostat für Febi entschieden. Das hat ein paar Aufschreie im Netz verursacht, aber ich habe gute Erfahrungen mit Febi gemacht. Warum also nicht? Andere Genossen aus dem Luftboxerlager unken derweil, wofür man denn eine Wasserpumpe überhaupt benötigen würde? 😀 Haha. Gähn. Wer einmal im Winter mit dicker Pelzjacke und schleichender Kohlenmonoxidvergiftung in einem Käfer von Kiel nach Hamburg gehoppelt ist, kann die Vorzüge eines wassergekühlten Motors klar benennen. Ich bin langsam echt zu bequem für solche überdachten Zündkerzen 😉 Ich mag eine Heizung, Plüsch und weiche Sitze. Basta. Ding Dong. Mutter, der Mann mit der Febi ist da!

Vorbereitung ist alles.

Und nicht nur der. Mein Freund Lars, der Watt’n Schrauber aus Dithmarschen, hat sich von der morgendlichen Schiebedachaktion nicht abschrecken lassen und atmet hier ebenfalls noch irgendwo die Kieler Luft ein. Unsere Hände sind noch viel zu sauber. Ich lasse Helmut bollernd und gullernd (der Auspuff liegt noch im Keller) unter die gestern Abend schon gespannte Plane über meiner Garagenabfahrt rollen. Die Zuverlässigkeit der iPhone Wetterapp ist legendär, heute Morgen sollte es mit 80%iger Wahrscheinlichkeit stark regnen und zum Nachmittag hin sonnig und trocken werden. Es ist jetzt 14:00 Uhr, und nach einem sonnigen und frühlingshaften Vormittag werden die ersten Wolken über der Kieler Förde dunkel und regenschwanger. Ich hol mal das ganze Werkzeug von hinten. Und JAAAAA auf meinem Granada liegt eine Menge Kram. Ich weiß. Das stört ihn aber nicht 😀

Leib und Seele müssen genährt werden.

Mann muss Prioritäten setzen. In diesem Fall sind es Prioritäten in Form einer riesengroßen und unfassbar leckeren Vier-Käse-Pizza, wer weiß wann wir das nächste Mal wieder was zu essen bekommen? Es sind keine Frauen da, die uns Männer zur Vernunft bringen, zur Nahrungsaufnahme rufen oder uns an gesellschaftliche Rituale erinnern weil der Tag vorbei ist. Ich kann mich beim Schrauben komplett vergessen und aufgeben. Na und? Also rein mit dem Ding, ich schütte gleich noch ein Bier obendrauf. Burps. Lars nicht, der trinkt keinen Alkohol und muss ja nachher irgendwann wieder zurück an die Westküste. Der ist überhaupt wie ein Kamel. Einmal betanken, und der kann den ganzen Tag drehen und racken, ohne nachfüllen und ohne eine Toilette. Sagenhaft.

“Der Küh_ler muss run_ter, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Das einzige, woran ich mich aus einer im Paläozoikum des Corona-Lockdowns gelesenen Selbsthilfe-Anleitung erinnere ist der Satz: “Die Servopumpe muss nicht ganz raus, um an die Wasserpumpe zu kommen, die könnt ihr lösen zur Seite legen”. Na immerhin. Trotz viel Platz im Motorraum rund um den legendären, längs eingebauten Reihensechszylinder M 103 bauen Lars und ich den Kühler aus. Der ist nagelneu, und der ist ziemlich im Weg. Das ist bei diesem Auto allerdings ein Kinderspiel. Kühlwasser raus (war sowieso das falsche) und dann den Schlauch oben und unten ab. Zuleitungen zum Ölkühler vom Automatikgetriebe oben und unten ab (Notiz an mich selbst: die beiden beizeiten mal aufarbeiten oder erneuern) – und das kompakte Wabengeflecht lässt sich nach oben herausheben.

Neu isser, und ab isser.

“Jetzt den Vis_ko Lüf_ter, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Propeller me the way I like it! Einer hält die Lamellen, der andere reißt am Innensechskant – und der große Viskoselüfter liegt neben dem Werkzeug auf dem Garagenboden. Das war bei meinem Audi V8 vor nunmehr 12 Jahren schon einmal weniger einfach. So vorderseitig freigelegt blicken wir auf das Geschlängel des Keilrippenriemens mit Lichtmaschine, Wasserpumpe, Servopumpe, Spannrolle und Umlenkrolle. Hier kann ein kleines Fotochen **jetzt** beim Zusammenbau **später** durchaus für Klarheit sorgen, und man muss nicht mit schmierigen Fingern im Netz nach dem korrekten Riemenverlauf suchen. Bestandsaufnahme. Die Riemenscheiben von Servopumpe und Wasserpumpe müssen auch ab, und darunter kommt man dann an die Schrauben der kleinen Spannrolle. Na gut.

Ein kleiner Irrgarten

“Ach gib uns den Rie_men, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Singt ihr eigentlich alle schön mit? Den Haltebolzen eine Umdrehung lösen, dann den Rippenriemen über die Spannrolle und den Dämpfer von oben mit der 13er Schraube entspannen. So steht es im schlauen Buch. Was da nicht steht: dass auch die Lichtmaschine an einer Schraube gelöst werden muss und nach Entfernen der zweiten Schraube einknickt. Was den Riemen final entspannt, so kenne ich das auch von allen meinen anderen Autos 🙂 Notiz an mich selbst: Der Rippenriemen kann nach 10 Jahren ebenfalls mal neu gekauft werden. Ich höre Regentropfen auf der gespannten Plane.

Fest verbunden. Irgendwie.

Um die Befestigungspunkte schlecht zugänglicher Anbauteile nachzuvollziehen, ist das Vorhandensein dieser Teile im ausgebauten Zustand eine nennenswerte Hilfe. Die neue Wasserpumpe liegt hier ja sowieso rum, die Position der vier Bohrungen für ihre Schrauben lassen nichts Gutes ahnen. Aber da sind wir ja noch lange nicht. Mit einer herbeigehexten Servopumpe aus meinem Ersatzteilfundus (hier bitte das Bibi Blocksberg HEX HEX Geräusch einfügen) erkennen Lars und ich, dass eine der vorderen Schrauben nur nach Lösen der Riemenscheibe erreichbar ist. Und dass sich einer von uns für die beiden hinteren Schrauben einen Unterarm zweimal brechen lassen muss, um ranzukommen.

“Die Servopumpe bei_seite, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Gnah! Riemenscheiben. Glatte Riemenscheiben ohne irgend eine Nut irgendwo sind die späte Rache der Stuttgarter Ingenieure an den Selbstschraubern. Wie lösen wir drei Schrauben auf einer glatten, runden Riemenscheibe, die sich dabei mitdreht? Die man nirgendwo mit irgendwas verkanten oder fixieren kann? Zwei lassen sich lösen, indem Lars mit der Knarre die dritte gegenhält. Aber die? Nun? Wir kontern erneut eine der gelösten Schrauben und bekommen die dritte, störrische lose. Jetzt ist die andere aber wieder fest. Ein lustiges Spielchen, was wir am liebsten noch den ganzen Nachmittag gespielt hätten. Aber mit einem Kuhfuß (der norddeutsche Begriff für ein Stemmeisen) und ein paar Flüchen zwingen wir auch die letzte Schraube in die Knie.

Riemenscheiben… ich mag die nicht.

Die kleinen Kandidaten von hinten lassen sich erfühlen, aber nicht erreichen. Noch nicht. Weil wir grad so schön im Flow sind spielen wir das Konter- und Lösespielchen mit der Riemenscheibe der alten Wasserpumpe gleich noch einmal. Mit eingebautem Kühler wäre ich längst wahnsinnig geworden. Oder hätte den Kühler geschrottet. Ich erkenne den Sinn darin, alles abzubauen, was im Weg ist. Auch wenn das eben seine Zeit dauert. Ach ja. Der vierkäsepizzagroße Luftfilterkasten sollte temporär verschwinden, dann kommen wir auch an die oberen Schrauben besser ran.

“Mach den Luft_fil_ter runter, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Gesagt, getan. Diese Dimensionen kenne ich sonst nur von Heizöltanks oder Luftschutzbunkern. Beim 126er ist alles ein wenig überdimensioniert. Aber auch diesen metallenen Trum mit gefalteter Papiereinlage halten nur drei kleine Schrauben, dann ist er komplett ab und der Motor nebst Mengenteiler ist nach oben offen. Vielleicht mag ich den deshalb so gerne. Aber jetzt, wo das Licht von oben kommt… Lars… sag mal… was ist das da hinter der Pumpe…?

Ein Mietnomade!

Örks. Mumifizierte Vogelreste. Teilzerlegt. Hier hat schonmal jemand gewohnt und mindestens einmal zu Abend gegessen. Na herrlich. Ich fummel alles raus und lasse die Fragmente tief im Gebüsch verschwinden, bevor eine meiner Töchter noch auf die Idee kommt, daraus ein Puzzle für ihre Bio-Lehrerin anzufertigen. Ih. Bäh.

Die hinteren Schrauben der Servopumpe sind ab und die Pumpe ist, immer noch angeschlossen, mit einem Kabelbinder beiseite gestrapst. Keine Knochenbrüche bisher, aber ab und an kommt ein kleiner Schwapps Wasser von der Plane geweht. Grundsätzlich landet der in Lars’ Nacken. Das ist ein bisschen erheiternd. Die komplette Spannrolle schraube ich mal ab ohne dass da jemand drüber singt, das ist jetzt mit ohne Riemenscheiben schnell gemacht. Ich lege sie neben all die anderen ausgebauten Teile auf den Garagenboden und frage mich, ob es vielleicht Sinn macht, ein paar Beschriftungen dazuzulegen. Just in diesem Moment dreht die abgelegte Rolle sich auf ihrer Halterung mit Gestänge einmal um sich selbst und verbleibt mit einem **SPROINGG** in einem Haufen von zusammenhanglosen Einzelteilen leblos liegen.

Wollt ihr Verlängerung? JAAAA!

“Jetzt die vier_te Schraube, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Genaugenommen war bisher alles kein Problem. Also, global betrachtet. Solange man die Übersicht behält und keine der Schrauben abgnibbelt oder gar abreißt, was nach der langen Standzeit nicht ungewöhnlich wäre. Die Wasserpumpe sitzt seitlich am Motorblock und ist mit vier Schrauben befestigt. Vier Schrauben, das sind ein Innensechskant und drei normale Schrauben. Nicht, weil beim letzten Wechsel (so der denn jemals stattfand) eine Schraube verloren und mit dem ersetzt wurde, was grad da war. Sondern weil das so sein soll. Warum auch immer. Ich hab’s nachgelesen.

Die vierte und letzte Schraube, die oben rechts, lässt sich hinter dem Ansaugkrümmer mit einer Taschenlampe gut sehen. Aber eben auch nur das. Nein. Den baue ich jetzt nicht ab, da weigere ich mich! Stattdessen tut es die kleine Knarre mit zwei Verlängerungen und einem Gelenk, wenn man sie durch zwei Rippen der Ansaugbrücke steckt. Jetzt bloß nicht fallen lassen. Die Schraube ist… ggnnnnnhhhhh!! … locker und ab! YES!

JETZT ABER MAAAAAL!

Eine leichte Partystimmung kommt auf und wird nur dadurch getrübt, dass die Wasserpumpe nun zwar lose, aber noch lange nicht raus ist. Der Schlauch zum Kühler flutscht ab (**knack** Schlauchschelle kaputt) und der kurze Schlauch zum Motorblock lässt sich gut lösen. Was nicht, also GAR nicht mitspielt ist die Warmwasserleitung aus Metall, die zum Wärmetauscher geht und mit einer Dichtung in der Pumpe steckt. Die sitzt bombenfest. Wenn wir noch mehr zerren reißt die ab.

“Dann lös’ den Verteiler, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Wenn du das Problem nicht bei der Ursache packen kannst, dann pack es bei der Wurzel. Lars schlägt vor, die Pumpe mitsamt dem Warmwasserrohr auszubauen und das alles in Ruhe drinnen auf dem Schraubstock zu lösen. Dazu muss nur eine weitere Schelle von der Warmwasserleitung gelöst werden. Quasi eine kleine Befestigungsklammer mit einer einzigen Schraube oben auf dem Ventildeckel, an die wir aber nicht rankommen. Die Verteilerkappe ist im Weg. Der Fatalismus hat mich längst ergriffen. Ich löse devot und mit einem Lied auf den Lippen die drei Inbusschrauben der Verteilerkappe und lege sie liebevoll beiseite.

Die Kappe bringt es an den Tag

Ruckel ruckel, klicker klacker, pladder siff klecker und die malade Kühlmittelpumpe des lieben Helmut ist ausgebaut! Ha! Was sich jetzt vermutlich gelesen hat wie die intime Lebensbeichte eines pervertierten Chirurgen hat rund zwei Stunden gedauert. Inklusive Lernkurve und dem einen oder anderen gegoogel, was man meinem Handy noch in einem Jahr ansehen wird. Wenn man von Anfang an weiß wo man die Ratschen ansetzen muss schafft man das vermutlich auch in der Hälfte der Zeit. Aber so oft macht man das ja nun nicht 🙂 Und das ist auch ganz okay so.

Wir haben Platz geschaffen. Jetzt: Bier. Also ich. Dann: entfetten und entrosten, sauber machen, hoffentlich nicht noch mehr tote Tiere finden und alles wieder einbauen. Yippie!

Wer Motorraum. Unendliche Weiten.

Der Garagenboden sieht aus wie eine Widergeburt des Haufenprinzips von Peter Ludolf. Nebenbei hat sich noch das Regenwasser, was nicht in Lars’ Kragen getropft ist, mit reingeschlichen. Es regnet inzwischen nennenswert. Es ist aber dank der Zeitumstellung letzte Nacht noch hell. Gut. Und wenn wir Wasser(pumpen)männer doch noch länger benötigen sollten hab ich die LED Scheinwerfer schon in Position gebracht. Endspurt. Wir gehen elegant in eine strukturierte Arbeitsteilung über. Ich versuche, der alten Pumpe das Warmwasserrohr zu entlocken und Lars bereitet den Einbau des Neuteils mit Dichtungen am Auto vor.

Nach fest kommt ab. Das will ich aber nicht.

“Mach raus dann die Lei_tung, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Links – rechts – links – rechts. Wackeln – drehen – WD40. Heißluft aus dem Heißluftföhn, weil ich in diesem Chaos meine Lötlampe nicht finde. Ah. Die alte Dichtung scheint dahinzuschmelzen, jedenfalls stinkt und qualmt es aus der alten Wasserpumpe raus. Hihi 😀 Das riecht wie damals, als wir in der Grundschule unsere Plastikmodellautos angezündet und Verkehrsunfall gespielt haben. Das Problem ist, dass die Wasserpumpe zwar fest im Schraubstock sitzt, das Warmwasserrohr aber nicht abreißen darf.

Links – rechts – links – rechts. Wackeln – drehen – WD40. Kennt ihr dieses Gefühl beim Lösen und biegen? Wenn man die Kraft immer genau so dosiert, dass das Metall des Rohres so gerade eben nicht verbiegt? Irgendwann ist das Ding raus. Ich säubere die Enden mit der weichen Drahtbürste und schmatze einen neuen Dichtring drüber, während Lars im Motorraum gleiches tut und nun, man glaubt es kaum, alles für den Wiedereinbau bereit ist. Im Radio ist von sintflutartigen Regenfällen die Rede, Kiel ertrinkt, aber was kann uns jetzt denn noch passieren?

Sturzbäche und Planenkonstrukte

Ich könnte an dieser Stelle episch werden und Stück für Stück beschreiben, wie alles wieder zusammengesetzt wird. Da die Uhrzeit aber immer weiter rennt der Einbau genau andersrum wie der Ausbau erfolgt, appelliere ich an eure Vorstellungskraft 🙂 Stichworte:

  • Wasserpumpe mit vier Schrauben,
  • Warmwasserleitung,
  • Verteilerkappe,
  • Kappe auf der Kappe,
  • Servopumpe mit vier Schrauben,
  • Spannrolle,
  • zwei Riemenscheiben mit je drei Schrauben

und natürlich alle Schlauchverbindungen, teilweise mit neuen Schlauchschellen. Notiz an mich selbst: Neue Schlauchschellen kaufen. Argh. Mein Rücken. Dieses leicht vorgebeugte Arbeiten unter Anspannung der Muskeln ist eine echte Herausforderung für den meistens sitzenden und schreibenden Sandmann. Ich höre über uns meine Badewanne rufen. Sie wartet auf mich.

Sieht irgendwie richtig aus.

Nach der schmodderigen Pflicht mit Schrauben und Muttern in den Tiefen des über die Jahrzehnte ölverschmierten Motorraums kommt jetzt die Kür. Zunächst ein Bier. Astra. Ich mag Astra, nicht erst seit dem Impfstoffdebakel, ich mochte kaltes Astra schon immer 🙂 Sankt Pauli, mein Herz ist bei dir. Aber ich schweife ab, das machen der Regen, die aufkommende Kälte und die ausgelassener werdende Herrenwitzdichte. Schraubende Männer ohne Frauenkorrektiv fangen irgendwann an, sich Geheimnisse zu erzählen und über Dinge zu gackern, die Außenstehende nicht verstehen würden. Nehmt es hin. What happens at Sandmann’s stays at Sandmann’s.

“Nun lass doch mal lau_fen, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Die Wasserschläuche sind drauf, der Luftfilterkasten auch. Wie schön der glänzt 🙂 Der alte Rippenriemen sitzt (erstmal) wieder auf seinen Rollen und über die Lichtmaschine und die Spannrolle gespannt. Der Viskolüfter sitzt auf dem Kurbelwellenrad und der Kühler hängt an allen seinen Ein- und Auslassen. Es folgt: Destilliertes Wasser und rotes Kühlmittel. Noch nicht in der richtigen Menge, ich muss das System ohnehin noch ein paar Mal spülen und entkalken. Kennt jemand einen guten Kühlerreiniger? Original MB? Zitronensäure? Corega Tabs?

Herr Doktor – der Patient lebt!

Test, Test. Liegt noch irgendwo Werkzeug rum? Stecken noch Nüsse auf den Schrauben? Nein. Tatsächlich ist auch nicht eine einzige Schraube oder Mutter auf meinem Garagenboden liegen geblieben, das beeindruckt mich schon ein bisschen. Zündung an. BSSSSSHHHHH baut die Benzinpumpe Druck auf. WIWIWI BROMM dreht der Reihensechser hoch. Und fällt dann ins Standgas. Ha. Das klagende, mahlende Geräusch der Pumpe ist weg und einem zufriedenen Sirren gewichen! Läuft! Einzig die kleine Umlenkrolle rappelt noch leise vor sich hin, aber die kostet keine 15 Euro. Nach kurzer Zeit macht es SCHLÜÜÜRFFFF und der sich öffnende Thermostat zieht das Kühlwasser aus dem Ausgleichsbehälter in den Kreislauf. Ich kippe so lange nach bis der Pegelstand bleibt. Und lasse weiter laufen.

Es riecht herrlich nach 10 Jahre altem, verbranntem Benzin (keine Sorge, erinnert euch, wir sind draußen vor der Garage). Helmut schnurrt zufrieden und ruhig vor sich hin. Es zischt nichts, es kleckert nichts, alles ist dicht und wird umgewälzt. Und das, obwohl in den Anleitungen steht, dass es durchaus ein paar Stunden dauern kann, bis die Dichtungen sich gesetzt haben. Komm Lars. Poserbild vor dem laufenden Motor! Ihr seht hier zwei Schrauberfreunde am Ende eines langen Tages, der nun so etwas wie einen Erfüllungsmoment parat hält. Yeah. High Five. Ist es nicht eine großartige Erfahrung, etwas am alten Auto heile gemacht zu haben, von dem alle anderen schreiben, was das für eine Scheißarbeit ist? Und dann funktioniert’s auch noch? 🙂 Ja, das macht glücklich. Das sind Gefühle, die ein Neuwagenfahrer nicht verstehen kann. Aber das muss er ja auch nicht.

Erfolgreiche Männer am Ende des Tages.

Dafür sind die Finger des Neuwagenfahrers nicht so dreckig wie unsere. Wir klötern noch das rumliegende, leicht nass gewordene Werkzeug in die richtigen Kästen und tragen alles wieder in meinen chaotischen Keller. Ich muss hier bald mal aufräumen, das letzte Jahr war irgendwie… ermüdend und träge machend. Aber nun geht’s endlich weiter. Weiter mit schrauben, weiter mit den Autos. Wenn’s jetzt irgendwann nochmal aufhört zu regnen (und auch zu schneien) ist alles gut.

“Auf bald dann, lieber Helmut, lieber Helmut ♫”

Ich hocke mich in die alte, aus dem Vollen gefräste S-Klasse (Sitze und Teppich sind ausgebaut) und lasse sie zurück aus der Einfahrt in den Hof rollen. Dumpf und sonor grummelt der kerngesunde Motor und scheint zu fragen, wann es endlich auf die Straße geht. Bald, lieber Helmut, bald. Wir sind nicht mehr weit von deiner Zulassung entfernt.

Gute Nacht, Helmut

Lars wirkt ebenfalls glücklich. Er lächelt, allerdings hat das nichts zu sagen denn er lächelt immer. Ich hab ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil das jetzt so lange gedauert hat. Aber er winkt ab, wäscht sich die Hände und packt seine selbstgebackenen Krümelmonsterkekse aus. Ja herrlich. Die verdrücken wir im Wohnzimmer vor dem knuspernden Kaminofen und lassen den Tag nochmal Revue passieren 🙂 Für die Abstandswarner unter euch: Lars und ich haben beide vor der Schrauberei einen Selbsttest gemacht. Soviel Zeit muss sein. Aus verschiedenen Gründen teste ich mich ohnehin gerade mindestens einmal pro Woche. Also leiden wir vielleicht unter blutigen Fingern und nie wieder sauber zu bekommenden Fingernägeln – aber Corona haben wir uns nicht geschenkt 🙂

Der Gute ist jetzt in seinem Volvo wieder unterwegs an die Westküste, und ich stehe noch ein bisschen am Küchenfenster, gucke raus in die Dunkelheit und zähle meine Knochen. Knack. Knirsch. Schab. Der Regen pladdert auf das Blech des dicken Autos aus Stuttgart. Ich mag Autos, für die es auch nach 30 Jahren noch alle Ersatzteile gibt und die sich leicht, wenn auch mit Umwegen, reparieren lassen. Morgen stelle ich mir noch eine kleine Einkaufsliste zusammen, den Rippenriemen, die Umlenkrolle, Schellen und ein paar Kleinteile. Lars hat unsere Geschichte natürlich auch aus seinem Blickwinkel geschrieben, die findet ihr hier: KLICK. Ich muss echt mal zu ihm an die Westküste. Jetzt ist auch sein Hallentor drin. Und was zu schrauben gibt es ja immer. Und auch sonst… gibt es eine Menge zu erzählen. Wir lesen uns.

Sandmann

Der Beitrag Wassermänner im Regen erschien zuerst auf Sandmanns Welt.


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